Glaube, Hoffnung, Liebe – Liederschatz-Projekt

„In vielen Kirchen und Gemeinden, besonders in Freikirchen, hat sich eine solch starke Lobpreiskultur etabliert, dass traditionelle Choräle z. B. aus den Kirchengesangsbüchern gar nicht mehr gesungen werden“, so die Einschätzung bei SCM Hänssler. Zusammen mit vielen anderen Akteuren hat man sich deshalb 2016 auf den Weg gemacht 36 Choräle, je 12 in den Kategorien „Glaube“, „Hoffnung“ und „Liebe“, neu zu „intonieren“. Die Intonation umfasst dabei ein gründliches popmusikalisches Facelift, so dass die Songs für Bands spielbar sind und damit den Hörgewohnheiten vieler Gottesdienstbesucher entgegenkommen und ein theologisches Facelift in Form eines Andachtsbuches, das auch die historischen Fakten beleuchtet. 2017 ist die letzte der drei CDs auf den Markt gekommen und so haben auch wir im Reformationsgeburtstagsjahr einen Blick auf dieses Projekt geworfen.
Mit 36 Titeln legen Autoren und Verlag deutlich mehr Lieder vor, als dies in vergleichbaren Projekten mancher Landeskirchen der Fall ist, die sich häufig schon deutlich länger mit dem Phänomen des „Traditionsabbruchs“ in Bezug auf Kirchenlieder der vergangenen Jahrhunderte beschäftigen. Und sie gehen in Ihrer Konsequenz noch einen Schritt weiter. Sie legen das Material als Hör- und Arbeitsmaterial auf. So kann es in die Hände der Menschen gelangen, die in unseren Kirchen Musik machen und es bleibt nicht bei der bloßen Aufforderung an theologisch Verantwortliche, die alten Lieder wieder zu beleben. Zur Wiederbelebung gehört, sehen wir es mal unter dem medizinischen Aspekt, immer Fachpersonal.
Um es ganz kurz zu machen. Das vorliegende Material ist rundum gelungen. Die Liedauswahl ist breitgefächert und berücksichtigt Lieder aller Epochen, darunter auch Erweckungslieder des vorletzten und letzten Jahrhunderts. Die auf CD eingespielten Arrangements sind im vorliegenden „Liederbuch“ grafisch verfügbar. Dabei gibt es zu jedem Lied je eine Chorpartitur und ein Leadsheet. Den Autoren war es ein Anlieggen, die Lieder so übersichtlich und benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten. Das ist Ihnen gelungen, auch wenn nicht alle Details ausnotiert wurden. Sie empfehlen außerdem das Buch als Arbeitsbuch zu nutzen und es eigenen Möglichkeiten und Gegebenheiten anzupassen, was auch den Wechsel von Tonarten mit einschließt. Dieser Hinweis ist nicht nur gut gemeint. Er befreit vor allem vom Druck die Arrangements 1:1 nachzuspielen. Einige haben es nämlich in sich und da bräuchte es dann schon eine sehr versierte Band um das CD Ergebnis zu erreichen.
Das Andachtsbuch ist zum einen gut recherchiert, zum anderen bleibt es immer persönlich. Der Autor spricht hier von seinen Erfahrungen mit den Texten. „Ich habe mich über manches geärgert, über einiges gelacht und war bei vielem tief beeindruckt. Ich habe eigene Gedanken entwickelt und trotzdem genug Platz für Ihre Interpretationen gelassen“. Auch das ist gelungen, so dass dieses „Begleitmaterial“ nicht nur wertvoller Baustein, sondern unverzichtbarer Bestandteil des Gesamtprojektes ist.
Berücksichtigt man all diese Faktoren steht fest: dieses Arbeitsmaterial sollte nirgendwo fehlen, wo man ernsthaft darum bemüht ist sich kirchenmusikalisch „mehrsprachig“ auszudrücken und die wertvollen Zeugnisse vorheriger Jahrhunderte im Blick zu behalten. So macht dieses Projekt wunschlos glücklich – mit einer kleinen Ausnahme, die nicht, und das ist wichtig, das vorgelegte Material, sondern das Projekt als solches, betrifft. Denn hier ist eine weitere vielleicht noch wichtigere Chance, zumindest aus meiner Sicht, vertan worden. Dieses Projekt hätte im Reformationsgeburtstagsjahr das große ökumenische Projekt zwischen den beiden Großkirchen und den vielen Freikirchen werden können. In vielen evangelischen Landeskirchen gab es, es klang schon an, in den letzten Jahren ähnliche Projekte. Hier wäre man sicher auf offenen Ohren für eine Kooperation gestossen. Allein diesen weiteren Blick scheint es nicht gegeben zu haben. Schon eine Internetrecherche mit dem Titel Liederschatz hätte zumindest das Projekt der bayerischen Landeskirche sichtbar gemacht. Das trübt ein wenig die Freude über das ansonsten unbedingt empfehlenswerte Material.
Thomas Nowack